"Auch an trüben Tagen kann die Sonne scheinen"

kann in der eBook- Version (8,95 Euro)

und in der Printversion (11,99 Euro)ISBN9781973540045

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Auch wenn Raimi nicht der ausgewiesene Angsthase war, fühlte er sich nicht wohl bei dem Gedanken, seine Jugendfreundin Hanne Denk im Hospiz Helenenstift in Hamburg Altona nach über 50 Jahren wiederzusehen. Wie wird er sie begrüßen? Was wird er sagen? Wie sieht sie aus? Er mochte nicht weiterdenken. Am liebsten hätte er sich verdrückt, wie man in Hamburg sagt. Diesen Gedanken verwarf er aber in Bruchteilen von Sekunden. Er hätte sich sonst um eines seiner spannendsten und ergreifendsten Erlebnisse seines bisherigen Lebens gebracht.

Hanne lag in ihrem Bett und lächelte ihn an: „ Na mein Raimi, unser Treffen war mehr als überfällig.“

„Ja Hanne,  wir hätten uns ruhig ein paar Jahre früher wiedersehen sollen.“ Während er mit ihr sprach, umarmten sie sich, er gab ihr einen Kuss auf die Wange. Wie eine todkranke Frau sah Hannelore Denk, die Schwester seines ehemaligen Klassenkameraden Haser Wienken, nicht aus. Sie waren sich nicht fremd. Das himmlische Gefühl der nicht erloschenen Vertrautheit, ließ ihn für einen Augenblick an die Außerkraftsetzung der Formel des Lebens glauben. Bedauerlicherweise laufen die Zeiger der Uhr des Daseins nicht zurück. Sie hatten sich wahrhaftig 50 Jahre nicht gesehen. Eine lange Zeit im Vergleich zu den wenigen Tagen, Wochen oder Monaten, die diese tapfere Frau wohl noch zu leben hatte. Ihre Restlebenszeit war limitiert, das wusste sie. Aufgeben oder den Kopf in den Sand stecken kam für sie nicht in Frage. Hanne wuchs wenige Jahre nach dem 2. Weltkrieg in der Marktstraße in Hamburg auf St. Pauli auf. In dieser rauen Gegend hatte sie mit ihren fünf Geschwistern, unter der Regie der strengen Mutter, das Überleben unter schwierigsten Bedingungen gelernt. Auf seine Frage nach ihrem Vater antwortete sie: „Mein Vater hatte sich verpisst!“ Eine Handlungsweise, die ihr zeitlebens zuwider war.

Ihre drei Kinder, die Familie und ihre vielen Freundinnen und Freunde waren ihr stets das Wichtigste. Es verging kaum ein Tag, an dem sie in ihrer „neuen Wohnung“, im Hospiz Helenenstift, nicht von ihren Lieben besucht wurde.  Jeden gelebten Tag genoss sie in vollen Zügen. Hanne lachte, scherzte, erzählte, hörte gerne zu, sie war neugierig. Auch wenn sie ihre persönliche Situation sehr gut einzuschätzen wusste, haderte sie nicht mit ihrem Schicksal. Alle liebten diese charismatische Frau mit den wunderschönen braunen Augen. Ihrer Bitte, sie einmal wöchentlich im Hospiz zu besuchen, kam er gerne nach. Sie wollte mit ihm in die 50er- und 60er Jahre eintauchen. „Raimi, es war unsere Zeit. Als ich dich das letzte Mal sah, warst du ein gefeierter Rocksänger in Hamburg. Ich möchte alles von dir wissen.“  Bevor er etwas sagen konnte, sprach sie weiter: „Natürlich werde ich dir auch viel zu erzählen haben. Ich wohnte schließlich in der Marktstraße und wurde nicht in Watte gepackt.“

Und so kam es, dass er seine Jugendfreundin Hanne jede Woche im Hospiz besuchte. Sie erzählten sich spannende, lustige und auch mal traurige Geschichten. Keine Minute war ihnen langweilig. Sie  scherzten, bogen sich vor Lachen und hörten sich aufmerksam zu. Ab und zu kullerte auch mal eine Träne über seine Wange.

Rock und Beat, Skiffle, der legendäre Star-Club, die 60er Jahre, Hamburg, die Marktstraße, das "Tal der Gesetzlosen", die "Wolldeckenallee", St. Pauli, ein Rock´n´Roller wird Musicaldarsteller, Benefizkonzerte im Delphi Showpalast, Hasers Geheimnis, der Hamburger Dom, die Reise nach Griechenland, Tante Minni und Onkel Hans, der verlorene Koffer, -  sie hatten sich viel zu erzählen.

 

Hanne schloss am 5. Februar 2014 die Augen für immer.

 

Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. 

Cicely  Saunders ( Ärztin und Palliativmedizinerin aus England)

Und darauf, genau darauf kam es an!